Langstreckenläufer
Ein Langstreckenläufer und Wein haben auf den ersten Blick nicht so wirklich viel miteinander gemein. Dennoch ziert eben solch ein Langstreckenläufer das Etikett meiner Weine. Warum eigentlich?
Der Langstreckenlauf ist in der gesamten Herangehensweise in meinem Weingut Vorbild und Inspirationsquelle. Mit Leidenschaft und Hingabe soll diesem idealistischen Sinnbild nachgekommen werden und zwar auf drei Ebenen.
1. Ambition
Ziel ist es, die Herangehensweise und Mentalität aus dem Laufen 1:1 auf die Arbeit mit den Reben zu übertragen. Im Leistungssport geht es nie nur um DAS eine Workout, sondern um die Summe etlicher zusätzlicher Extrameilen und vieler kleiner Stellschrauben, die bewegt werden wollen, bringen nach vielen Jahren mit etwas Glück das erwünschte Ergebnis. Über Wochen, Monate und Jahre mit viel Geduld an den Nuancen arbeiten, mit der Bereitschaft Rückschläge in Kauf zu nehmen, darum geht es im ambitionierten Sport. Was kann diese Herangehensweise für die Arbeit mit den Reben bedeuten? Grundsätzlich sollen möglichst viele Arbeiten von Hand erledigt werden, in der Überzeugung auf diese Weise noch besser auf die anvisierte Qualität zuarbeiten zu können. Je nach Jahrgang und Gegebenheiten werden gezielte Entblätterungen per Hand durchgeführt und eine akribische Laubarbeit mit Geradestellen jedes einzelnen Triebes prägt die Arbeiten im Sommer. Der Laubschnitt wird so spät wie möglich von Hand durchgeführt oder die Triebe werden gar nicht erst gestutzt, sondern um den obersten Draht gewickelt. Es werden über diesen zeitaufwendigen Weg möglichst kleine Beeren, mit dem entsprechendem Schale-Saft-Verhältnis, angestrebt. Wenn nötig wird der Ertrag zu Beginn der Reife mittels Ausdünnung korrigiert und ein möglichst perfektes Sortieren der Trauben bei der Handlese ist sowieso obligatorisch.
Die Ambition und das Perfektionsstreben soll sich aber auch in der Lernbereitschaft und der Bereitschaft zur Weiterentwicklung widerspiegeln. Im Vordergrund steht nicht das Hier und Jetzt, sondern der langfristige Prozess. Dazu zählt auch die (zukünftige) Zusammenstellung des Weinberg-Portfolios, bei dem die qualitativen Argumente denen der einfacheren Logistik überlegen sein sollen.
2. Langstreckenläufer-Wein
Alles ist darauf ausgerichtet, möglichst langlebige Weine entstehen zu lassen. Es geht darum, Weine entstehen zu lassen, die ihren Höhepunkt erst nach einigen Jahren des Warmlaufens erreichen und hoffentlich auch noch in ferner Zukunft Spaß machen können. Auf dieses Ziel zahlen zum einen die kleinen Erträge pro Rebstock ein. Im Keller wird das Ganze durch die Kelterung mit einer alten Korbpresse von Hand und der damit verbundenen Mostoxidation unterstützt. Die Gärung findet dann ausschließlich im Sinne einer Spontangärung statt, der ein langes Hefelager folgt, welches über mindestens zehn Monate weitestgehend ohne Batonnage durchgeführt wird. Im gesamten Ausbauprozess werden keine Schönungen durchgeführt, es erfolgt lediglich der Einsatz von Schwefel, in der Regel erst kurz vor der Abfüllung. Wenn möglich werden die Weine unfiltriert abgefüllt, um dann frühestens etwa 20 Monate nach der Weinlese auf den Markt zu kommen. All die genannten Aspekte zielen darauf ab, Langstreckenläufer entstehen zu lassen.
3. Konstitution
Wenn man das Bild eines Langstreckenläufers im Kopf hat, wird man kaum an einen voluminösen Muskelprotz denken, welcher nur so voller Kraft strotzt. Mit einer Gewichtheber-Figur und Bergen an Muskelmasse wird sich sicher nur schwer ein langer Marathon absolvieren lassen. Viel naheliegender ist da das Bild eines schlanken, sehnigen Körpers, ohne ein Gramm Fett zu viel auf den Rippen. Gleiches soll auch für die Langstreckenläufer-Weine gelten. Nicht Frucht oder Volumen sollen im Vordergrund stehen. Im Fokus stehen stattdessen Attribute wie Eleganz, Struktur, Grip und Würze, sowie auch ein gewisses Maß an Ecken und Kanten. Dadurch eignen sich die Weine dann auch perfekt als Essensbegleiter.